Finanznachrichten ZukunftsVorsorge: „Das Problem ist der ökonomische Analphabetismus der Deutschen“


Betrachtet Fundamentalkritik an der Riester-Rente als große Dummheit: Bernd Raffelhüschen. Foto: Raffelhüschen; Quelle: procontra-online.de

Der Volkswirt und Rentenspezialist Bernd Raffelhüschen erklärt, warum Berater fondsgebundene Riester-Versicherungen empfehlen sollten und welche Grundprobleme es mit der privaten Altersvorsorge in Deutschland gibt.

procontra: Herr Raffelhüschen, riestern Sie eigentlich?

Bernd Raffelhüschen: Mit drei Kindern? Klar.

procontra: Viele Riester-Produkte gelten als teuer und ineffizient. Haben Sie damit kein Problem?

Raffelhüschen: Es gibt ungefähr 1.500 verschiedene Riester-Produkte, von Versicherungen über Fondslösungen bis hin zu Banksparplänen. Manche bringen derzeit gute Renditen, andere nicht. Wie die Renditen in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren aussehen werden, weiß kein Mensch.

procontra: Das heißt also: Sie wissen nicht, ob sich die Sache rentiert. Arbeitgeberverbände haben sich kürzlich der Kritik an Riester angeschlossen. Sie fordern höhere staatliche Zuschüsse.

Raffelhüschen: Welche der 1500 Produkte meinen die Verbände denn? Riester heißt erst mal nur: Zuschuss plus Sonderausgabenabzug in der Einkommensteuererklärung. Alle Riester-Produkte über einen Kamm zu scheren, wäre das Dümmste, was man machen kann.

procontra: Gut, konkreter: Vor allem fondsgebundene Riester-Produkte gelten oft als deutlich zu teuer.

Raffelhüschen: Das ist falsch. Es ist genau umgekehrt: Nicht die fondsgebundenen Produkte haben Probleme und können Anleger teuer zu stehen kommen, sondern jene, die dazu verpflichtet sind, in erster Linie Staatsanleihen zu kaufen. Denn der Staat zahlt derzeit keine Zinsen mehr. Das trifft vor allem Versicherungslösungen. Auch fondsgebundene Riester-Produkte halten zwar Staatsanleihen, schon allein wegen der Beitragsgarantie. Aber nicht im selben Ausmaß wie reine Versicherungsprodukte.

procontra: Der Staat macht also mit seinen Niedrigzinsen die von ihm selbst geförderte Altersvorsorge kaputt?

Raffelhüschen: Der Staat kann schlichtweg keine höheren Zinsen zahlen, weil er kein Geld hat. Würden Bundesobligationen mit normalen Zinsen bedient, wäre der Bundeshaushalt platt. Und wenn die Landesschuldverschreibungen der Bundesländer mit normalen Zinsen bedient würden, hätten auch die Länder ein Problem. Wir sagen immer, die Südeuropäer können ihren Haushalt nicht vernünftig führen. Aber wir können es genauso wenig.

procontra: Sind kapitalmarktorientierte Vorsorgeprodukte ein Schritt in die richtige Richtung?

Raffelhüschen: Das kommt darauf an, wie der Rest des Portfolios aussieht. Man darf nie alle Eier in einen Korb legen, das wäre ein gewaltiger Fehler. Wenn man einen Riester-Vertrag abgeschlossen hat, der stark auf Staatsanleihen setzt, sollte man den Rest seines Geldes in Aktien oder Immobilien investieren – und umgekehrt. Wichtig ist, von allem ein bisschen zu haben. Darüber hinaus sollte man schrittweise in ein Investment einsteigen und auch schrittweise wieder aussteigen. Befolgt man diese Regeln, hat man nie Probleme. Auch jetzt nicht.

procontra: Das klingt einfach.

Raffelhüschen: Ja, nicht wahr? Eigentlich ist Vorsorge gar nicht schwierig: Wir haben eine gesetzliche, eine betriebliche und eine private Altersvorsorge. Innerhalb der privaten Altersvorsorge muss man überlegen, wie man investieren will. Der einzige Tipp, den man Menschen geben kann, ist, sich mit der privaten Altersvorsorge mindestens genauso lange zu beschäftigen wie mit dem Kauf eines Autos. Selbst das mit den Eiern und dem Korb haben die meisten Menschen in Deutschland aber noch nicht verstanden. Die private Altersvorsorge in Deutschland macht deshalb kaum Fortschritte. Die Vorsorgelücke wird immer größer.

procontra: Was kann man denn tun, damit die Deutschen endlich vorsorgen?

Raffelhüschen: Man sollte ihnen deutlich machen, dass sie sich informieren müssen. Sie müssen selbst nachschauen, welche Produkte wie refinanziert sind, was wo drin steckt und wie man sein Vermögen aufteilt, wenn man ein bestimmtes Produkt kauft. Die meisten Menschen wissen solche Dinge nicht, sie beschäftigen sich lieber mit dem nächsten Bundesligaspiel. Und Unwissenheit führt zu Ablehnung.

procontra: Sollte der Vertrieb etwas ändern? Er steht besonders oft in der Kritik.

Raffelhüschen: Der Vertrieb lebt davon, dass er etwas vertreibt. Das ist grundsätzlich nichts, was man kritisieren müsste. Kritik am Vertrieb ersetzt nicht die Eigeninitiative. Natürlich wird ein Vertrieb immer Geld verdienen wollen, und zwar so viel wie möglich. Das weiß man aber auch. Anleger sollten deshalb immer Angebote vergleichen. Wer glaubt, dass ein Bäcker mit dem Verkauf von Brötchen kein Geld verdienen will, dem ist nicht zu helfen.

procontra: Es mangelt also nicht an Anreizen und es liegt auch nicht am Vertrieb, dass die Deutschen kaum privat vorsorgen. Woran mangelt es dann? Brauchen wir mehr Vorsorgeprodukte, damit für jeden etwas Passendes dabei ist?

Raffelhüschen: Nein. Es gibt so viele Vorsorgelösungen, dass es jetzt schon schwierig ist, den Durchblick zu behalten. Ein noch größeres Angebot muss nicht sein. Zugegebenermaßen gibt es nicht nur gute Produkte, sondern auch schlechte. Das ist aber in jedem Markt so. Es gibt auch Bäcker, die gute Brötchen backen, und welche, die schlechte Brötchen backen. Das eigentliche Problem ist der ökonomische Analphabetismus der Deutschen, die kaum in der Lage sind, zwischen guten und schlechten Produkten zu unterscheiden.

procontra: Wenn man schlechte Brötchen kauft, ist aber höchstens der Sonntagmorgen im Eimer. Kauft man ein schlechtes Altersvorsorgeprodukt, ist vielleicht der Lebensabend ruiniert. Muss der Staat die Altersvorsorgeindustrie strenger regulieren, um ökonomische Analphabeten zu schützen?

Raffelhüschen: Die Regulierung ist meines Erachtens ausreichend, denken Sie etwa an die Zertifizierung von Riester-Produkten. Die meisten Menschen wissen aber nicht einmal, dass sie Staatsanleihen kaufen, wenn sie eine Rentenversicherung abschließen, oder dass sie mit einer Indexpolice in einen Index investieren. Bei so viel Unkenntnis hilft Regulierung nicht.

procontra: Gerade Indexpolicen werden immer wieder von Verbraucherschützern kritisiert, weil ihre Gewinne gedeckelt sind. Ist die Regulierung wirklich streng genug?

Raffelhüschen: Es ist der Job von Verbraucherschützern, zu kritisieren und strengere Regulierung zu fordern. Ein höherer Regulierungsgrad erhöht aber die Kosten der Anbieter und damit auch die Kosten für Investoren. Man muss Verhältnismäßigkeit wahren.

procontra: Schaut man auf den kläglichen Zustand der privaten Altersvorsorge und die wachsende Vorsorgelücke, ist die Lage einigermaßen dramatisch.

Raffelhüschen: Das ist nur zum Teil richtig. Immerhin ist die Rentenversicherung kein Sanierungsfall mehr. Sie wird halten, was sie verspricht, und den meisten Menschen eine auskömmliche Basisversorgung bieten. Man wird es damit aber nicht schaffen, im Ruhestand seinen Lebensstandard aufrecht zu erhalten.

procontra: Die Rente ist also sicher?

Raffelhüschen: Die gesetzliche Rente wird sicher vor Altersarmut bewahren. Aber sie wird keinen adäquaten Ersatz für das letzte Nettoeinkommen darstellen. Dazu haben wir in Zukunft zu wenige Beitragszahler.

Das komplette Interview lesen Sie in der kommenden Printausgabe der procontra, die ab 14. Oktober 2016 erhältlich sein wird.

Quelle: Procontra Online – Finanznachrichten ZukunftsVorsorge: „Das Problem ist der ökonomische Analphabetismus der Deutschen“

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